24_08

Vorwort

 

Ab 2005 war ich eifriger Leser und Schreiber im christlichen Internetforum von ‚livenet’ (unter dem Pseudonym ‚Erbreich’, welches sich aus meinem Vornamen herleitet: Ulrich kommt von altgermanisch ‚ahd uodal richi’, was so viel bedeutet wie ‚an Erbe – oder an Heimat – reich’). In meinen Beiträgen des Jahres 2007 sollten sich die neu gewonnen Einsichten bezüglich des göttlichen Allerbarmens und der Praxis christlicher Meditation deutlich niederschlagen (was von Seiten der dortigen evangelikalen Christen zu teils heftigem Widerstand und auch zu mehreren Threadschliessungen geführt hat). An dieser Stelle einige meiner damaligen Beiträge (in der ursprünglichen zeitlichen Reihenfolge). 


Die Bibel


Die Bibel ist dem Menschen gegeben, nicht der Mensch der Bibel. Wo sie Dir nicht zu einem JA zu Gott und zum Leben - auch zu Deinem ganz persönlichen Leben - verhilft, da tust Du gut daran sie zurückzuweisen. Alles hat seine Zeit. Vieles, was ich vor 20 Jahren nicht verstehen konnte, verstehe ich heute - wohl gerade auch, weil ich heute ein grösseres Vertrauen in Gott, ins Leben und in mich selber habe - und etliches, was ich heute nicht verstehe, werde ich vielleicht morgen oder in zwanzig Jahren verstehen. Es ist wichtig, dass wir zurückweisen, was wir nicht verstehen oder vielleicht einfach noch nicht zu verstehen in der Lage sind. Blindgläubigkeit ist keine Tugend.


Gesetz und Gnade


Die Bibel als Ganzes ist ein ausserordentliches Zeugnis der Wechselwirkung von Gesetz und Gnade. Wollen wir sie auf einen der beiden Aspekte festnageln, gehen wir in die Irre. Gesetz und Gnade sind - im Sinn und Wesen Gottes - eine harmonische Einheit. Wo ein Gesetz 'gesetzt' wird, da entsteht auch Übertretung des Gesetzes. Wo Gesetzesübertretung geschieht, da wird der Übertreter dem Gesetzeshüter (dem das Gesetz ausführenden Organ) ausgeliefert. Kennt der Gesetzeshüter keine Gnade, das heisst: Ist im Gesetz nicht auch die Gnade vorgesehen, dann sind das Gesetz und der Hüter des Gesetzes 'gnadenlos'. Ein gnadenloses Gesetz ist ein diabolisches Gesetz. Ein gnadenloser Gesetzeshüter ist eben kein Gesetzeshüter, sondern ein (Gesetzes-) Tyrann. Meine Bibel zeigt mir das göttliche Gesetz und den Hüter dieses göttlichen Gesetzes als gnädigen Gott.


All-Erbarmen


Gnade ist Teil göttlichen Gesetzes. Ein gnadenloses Gesetz ist ein teuflisches, ein dämonisches Gesetz. Nun ist aber die Schöpfung (All, Kosmos) nicht ein Werk des Teufels, sondern Gottes. Die Gesetze oder Gesetzmässigkeiten die sie bestimmen sind durchdrungen von der Gnade und Liebe Gottes. Dies zu erkennen und nach dieser Erkenntnis zu Leben ist 'Glauben', und diesen 'Glauben' zu finden - oder mehr noch: geschenkt zu erhalten - ist in sich ein 'Beweis' der Existenz von Gnade im Gesetz. Diese Gnade ist Sinn und Ziel des Gesetzes und der Weg zu ihr hin ist gerade im und durch das Gesetz angelegt. Auch wenn wir das biblisch (jüdisch-christlich) betrachten, ist die Erlösung für die Menschheit in Christus von Anfang an bei Gott festgestanden, also Teil seines 'gesetzmässigen Heilsplanes'. Unser umstrittener Paulus beschreibt das bestens in Römer 5. Und er sagt dort auch klar, dass diese Gnade für alle Menschen gilt:


Also: wie der Sündenfall des einen zur Verurteilung aller Menschen führte - so führt auch das gerechte Tun des Einen alle Menschen zur lebenbringenden Rechtfertigung. (Röm 5,18)


Alle wurden zu Schuldnern und alle werden 'lebenbringend gerechtfertigt'. Das ist göttliche, gnadenhafte Gesetzmässigkeit. F.H. Baader, der Autor der DaBhaR-Bibelübersetzung sagt es deutlich:


"Von der Rettungsherrlichkeit JHWHs soll also nichts geschmälert werden. Ohne Zweifel wird durch die Lehre, dass Gott, der alle Menschen retten will, den überwiegenden Teil der Menschen aber nicht retten kann (sein Arm somit zu deren Rettung zu kurz ist), die Herrlichkeit seines Retternamens entscheidend verringert. Mehr noch wird durch die Behauptung, dass der überwiegende Teil der Menschen unwiederbringlich verloren geht, der Sieg von Golgotha' zu einer Niederlage gemacht, da in diesem Fall der Satana's den grösseren Erfolg zu verzeichnen hätte."


Und noch deutlicher:


"Durch die Unterschlagung des All-Erbarmens Gottes wird die Lehre gefördert, dass die von ihm erschaffenen Wesen ohne Aufhören, also ohne Zweck und Ziel, gequält werden. Im Gegensatz zu der gebotenen Segnung stellt diese aber eine unübertreffbare Verunglimpfung Gottes und seines Retternamens dar... Schon aus Lk 8,28-33 ist ersichtlich, dass mit einer Quälung auch eine Rettung verbunden ist und der Herr sogar Dämonen in ihrem Bitten erhört. Gott als unaufhörlichen Quäler zu sehen, ist dämonisch und nicht menschlich. Qual ist gemäss Offb. 12,2 eine Sache der Geburt, die hinterher umso grössere Freude auslöst; Joh 16,21. Die Auffassung, dass aus der Finsternis keine Rückkehr ist, ist eine frevlerische; Hiob 15,20/22. Wer Gott zum grausamsten aller Wesen erklärt, weil er ihm ein sinnloses, ja sogar unaufhörliches Quälenlassen unterstellt, beweist, dass er einer frevlerischen, dämonischen Lehre verfallen ist."


Erst seit ich Gott als All-Erbarmer erkenne, ist mir die Dimension der Gnade - gerade auch durch Gesetz(esbelehrungen) und Sünde(nerfahrungen), wie es Paulus beschreibt - wirklich fassbar. Solange mein Bild vom Heilsplan Gottes aufgespalten bleibt in 'Himmel' und 'Hölle', solange ist mein Weltbild überhaupt und bin auch ich selbst aufgespalten in 'Himmel' und 'Hölle'. Ich kann in einer solchen Sicht zwar auch Formen von Gnade erleben, jedoch trägt sie dann immer auch ihr Gegenteil, die 'Gnadenlosigkeit' mit sich. Die Welt ist dual...


...Gott aber ist Einer. (Gal 3,20b)

 

Freiheit

 

 Ein Gleichnis:


Ein Bauer auf einem Markt in Indien hatte Wachteln zu verkaufen. Sie waren alle an einem Bein mit einer Schnur an einem Pflock angebunden. Offensichtlich lebten sie schon eine geraume Zeit so: Sie drehten stoisch ihre Kreise um den Pflock. Da kam ein heiliger Mann vorbei und von Mitleid ergriffen kaufte er dem Bauern alle Wachteln ab. Dann durchtrennte er die Schnüre - die Wachteln waren frei. Doch was geschah? Sie drehten weiter ihre Kreise, als ob nichts geschehen wäre... Der heilige Mann fuhr zwischen sie und scheuchte sie auf, sie flatterten kurz hoch, landeten dann wieder am Boden und drehten weiter ihre Kreise um den Pflock.

Was hat man von der Erlösung, wenn man sie nicht erkennt und die dargebotene Freiheit nicht ergreift? Es hilft natürlich auch wenig, wenn man 'für-wahr-hält', dass man frei ist, aber dennoch in derselben Weise weiter die Runden dreht als wäre man noch gefangen...



Lied: FREIHEIT

 

Hast du einmal ihr Antlitz erkannt

Dann ist für dich niemals mehr jemand verdammt

Du weisst wer sie ist, weil du sie vermisst

Und immer und immer wieder vergisst

 

Sie ist dir ganz nah’ und immer bereit

Dich zu erheben indem sie befreit

Aus Schlamassel und Qual, aus Enge und Not

Und wäre sie nicht, dann wärest du tot

 

Nun hast du aber Sinne und Sinn

Hat dein Leben ihr zum Gewinn

Sprich ihren Namen und sei bereit

Sie zu benennen als deine Freiheit

 

Sie ist es für alle und ist es für dich

Sie ist es für alle und so auch für mich

An ihrem Busen darf ich mich laben

Und mich erfreu’n an all ihren Gaben

 

Sie ist es, die leise zu mir spricht

Und manchmal mich fordernd fast zerbricht

Sie lächelt mir freundlich ins Gesicht

Wenn ich mich verzweifelnd seh’ im Gericht

 

Sie spricht mich eins und macht mich frei

Wenn ich mich von allem was da ist entzwei

Sie führt mich zur Einheit mit Vater und Sohn

Und schenkt mir gnadenhaft himmlischen Lohn

 

So kann ich ganz neu im Leben steh’n

Und all meine Schulden und Ängste verweh’n

Während ich kraftvoll lebend im Sein

Von mir tu’ allen Trug und allen Schein

 

Sie alleine ist ganz wahr

Und macht alles Leben licht und klar

Sie ist keine Göttin, nein, das nicht

Und wäre sie es, ich kennte sie nicht

 

Sie ist, des sei dir gewiss, dein du

In ihr - in dir - findest du Ruh’

Da bist du alles und bist nichts

Und als dieses: Kind des Lichts

 

Für die Freiheit hat uns Christus befreit; so stehet nun fest und lasset euch nicht wieder in ein Joch der Knechtschaft spannen! (Gal 5,1)


Buchstabenhörigkeit

  

Wer ist denn unter den Menschen heute das Sprachrohr der Schlange, die 'Errettungs-Bedingungen' predigt? Es ist immer noch dieselbe Spezies, wie sie Jesus angetroffen hatte in seiner Zeit als Mensch auf Erden: Es sind die Frommen, die 'Biblizisten' (sprich: Schriftgelehrten), auch heute noch. Sie sind es, auf die auch heute noch zutrifft, was Jesus vor 2000 Jahren sagte:


Aber wehe euch, Schriftgelehrte und Pharisäer, ihr Heuchler, daß ihr das Himmelreich vor den Menschen zuschließet! Ihr selbst geht nicht hinein, und die hinein wollen, die laßt ihr nicht hinein. (Mt 23,13)


Das Kreuz Jesu ist seine Tat (und seither das Symbol) der Gnade und Vergebung Gottes für die ganze Menschheit. Wer daraus heute ein Gesetz macht im Sinne von: "Wehe dem, der Jesus jetzt nicht annimmt!", der hat das Kreuz nicht verstanden. Er hat die Gnade weder wirklich (wirk-sam) ergriffen, noch lässt er sie über seinen Mitmenschen gelten. Jesus sprach Klartext:


Ich sage euch: Wenn eure Gerechtigkeit die der Schriftgelehrten und Pharisäer nicht weit übertrifft, so werdet ihr gar nicht in das Himmelreich eingehen! (Mt 5,20)


In biblizistischer Buchstabenhörigkeit findet sich keine göttliche Gerechtigkeit:

 
Du blinder Pharisäer, reinige zuerst das Inwendige des Bechers und der Schüssel, damit auch das Äußere rein werde! (Mt 23,26)

 

Denn:

 

Das Reich Gottes kommt nicht mit Aufsehen. Man wird nicht sagen: Siehe hier! oder: Siehe dort ist es! Denn siehe, das Reich Gottes ist inwendig in euch. (Lk 17,20-21)


Die Ungerechtigkeit liegt weit weniger im mehr oder weniger sittlichen oder unsittlichen Lebenswandel (damit spreche ich nicht der Unsittlichkeit das Wort!), als vielmehr in der Rechthaberei fundamentalistischer Glaubensüberzeugungen (gleich welcher Religion). Für seine kompromisslose Konfrontation mit den 'Rechtgläubigen' liebe ich Jesus:


Wahrlich, ich sage euch, die Zöllner und die Huren kommen eher ins Reich Gottes als ihr! (Mt 21,31)


Aber ich liebe ihn auch für seine Vergebungsbereitschaft:


Jesus aber sprach: Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!  (Lk 23,34)

 

Absolutismus

  

Es scheint leicht und richtig, sich an ein fundamentalistisch-dogmatisches Weltbild zu klammern, es macht aber den Menschen leider nicht frei, sondern kann ihn leicht in eine gefährliche Unfreiheit und ideologische Abhängigkeit führen. Absolutismus in welcher Form auch immer scheint mir der Lebensrealität letztlich entgegengesetzt. Es kann wohl für eine schwierige Lebensphase sinnvoll sein - etwa wie Psychopharmaka - hat aber Nebenwirkungen, die auf Dauer zu viel Schaden anrichten können.

 

Suchen und Finden

  

Natürlich habe ich im Verlaufe meines Lebensweges etliche Wege und Wahrheiten versucht - wer nicht sucht, kann auch nicht finden - und ebenso natürlich, dass nicht ein jeder dieser Wege und Wahrheiten das Gelbe vom Ei war... man verirrt sich gelegentlich... das bringt ein suchendes Leben mit sich... wer aber aus lauter Angst davor, sich zu verirren, wo er steht verharrt, der lebt im Grunde kaum...

Meine Verirrungen waren vor allem suchtmässiger Natur: Substanzindiziert, sexuell indiziert und spirituell indiziert. Die Verirrung besteht meines Erachtens darin, etwas auf dem Lebensweg Gefundenes zu verabsolutieren. Man will ein Erlebtes oder Erkanntes 'verewigen'. Dies führt in die Abhängigkeit davon und letztlich in Sucht - im Falle der Religion: In Dogmatismus und Absolutismus.

Wenn heute meine eigenen (erwachsenen) Kinder kiffen und ihre eigene Suche - gerade auch in den spirituellen und sexuellen Bereichen des Lebens - unternehmen, dann finde ich darin nichts Verwerfliches. Natürlich kann ich mit ihnen diskutieren, und sie kennen ja meine eigene Lebensgeschichte, ihren Weg aber müssen und sollen und dürfen sie selber suchen und finden. Nur wer ehrlich sucht, der kann auch finden...

 

Regeln und Gesetze

 

Seit Jesus sind die Lehren und Regeln (Gesetze) der Bibel nicht mehr dogmatisch. Wenn Jesus bereits den seinen Bruder Hassenden als Mörder bezeichnet oder den eine (andere) Frau begehrlich Anschauenden als Ehebrecher, dann frage ich: Wo ist nun hierin noch eine absolute Festlegung von Regeln zu finden? Jeder hat sich doch demnach vor allem mal selbst zu prüfen und von Gott prüfen zu lassen, wo er hier steht. 

Und diese Grenzen steckt er Dir und mir und jedem andern Menschen persönlich ab. Das ist eine Frage der Reife des Menschen - auch und gerade der geistlichen Reife - welche Grenze Gott dem Einzelnen zu welcher Zeit und in welcher Situation zumutet und zutraut. Die Zielrichtung ist hierbei klar: "Alles, was nicht aus Glauben getan wird, ist Sünde." Aber keiner von uns steht am genau gleichen Ort, wie ein anderer. Somit kann auch keiner dem Andern sagen: "Du Sünder! Du Gottloser!" - es sei denn, er will sich dadurch selber richten, mit eben dem Massstab, den er anwendet.

 

Gott sein lassen

 

O wie schön ist dieses Leben
Wenn man einmal ganz ergeben
Sich ihm hingibt und gelassen
Gott einfach kann Gott sein lassen

Lass' Ihn sein und lass' sie reden
Von der Hölle und von Eden
Von dem Kreuz und von dem Einen
Den - als göttlich Privileg -
Sie allein zu kennen meinen

Löse deinen Geist von diesen
Krank machenden fiesen
Ideo- und Theologien
Lass' ihn fliessen wie den Fluss
Lass' ihn fliessen ohne "Muss"

  

Mut

 

Fehlt nicht sehr vielen Christen der Mut dazu, eine eigene Glaubensposition schon nur einzunehmen und dann gar noch nach Aussen zu bekennen? Ist nicht ein unausgesprochener Druck, ein stillschweigender Konsens innerhalb der Kirchen und Gemeinden oft zu mächtig, um dem einzelnen Individuum überhaupt nur den Raum zum mutigen persönlichen Bekenntnis zuzugestehen?

 

Hier füge ich einen Abschnitt aus einem Brief an meine Freunde von Mai 2004 ein:

 

In seinem Bericht über die Gruppenarbeit am 5. Wiler Symposium ‚Psychiatrie im Wandel – Psychiatrie und Religion’ schreibt der Psychiater W. Pöldinger:[1]

 

Vielfach haben sterbende Menschen das Bedürfnis, über das Sterben und das Leben nach dem Tod zu sprechen. Diese Aufgabe – dies kam in der Diskussion zum Ausdruck – ist für den Seelsorger häufig schwieriger als für den Arzt. Denn viele dieser Sterbenden wollen nicht die offizielle Lehrmeinung einer Religionsgemeinschaft kennenlernen, sondern interessieren sich vor allem für die persönliche Ansicht ihres Gesprächspartners. Oft fällt es jedoch gerade religiösen Menschen schwer, ihre persönlichen Anschauungen zu diesen Fragen offen darzulegen. Solche Themen werden gerne verdrängt, oder aber man legt sich selbst keine Rechenschaft über den persönlichen Glauben ab.

An diesem Punkt wurde die Diskussion noch lebhafter und emotionaler. Offensichtlich gehört der persönliche Glaube zu den grössten Tabus. Mit ein wenig Verwunderung nahm man allseits zur Kenntnis, dass solche Fragen kaum öffentlich behandelt werden. Über die innerste religiöse Überzeugung äussert man sich kaum, geschweige denn, dass man sie diskutiert…

Aus der Psychotherapie von Personen, welche eine Funktion in Glaubensgemeinschaften ausüben, ist bekannt, dass sie mit ihren engsten Glaubensgenossen über diese persönliche Thematik nicht sprechen können. Dieser Hemmung mag die Angst zugrunde liegen, etwaige Zweifel an religiösen Inhalten auf andere zu übertragen und diese so in Gewissenskonflikte zu stürzen.

Vom Podium aus wurden anwesende Ordensmitglieder aufgefordert, dazu Stellung zu beziehen: In ihren Gemeinschaften sei es eher möglich, Probleme der Sexualität zu diskutieren als solche des persönlichen Glaubens. Die ureigensten Glaubensinhalte stünden nie zur Debatte. Damit fand die These einer Tabuisierung ihre Bestätigung.



[1] Zitiert aus dem Artikel ‚Psychiatrie und Religion heute’ von Dr. Hans F. Fankhauser, Spezialarzt FMH für Psychiatrie und Psychotherapie, Bern, in einem Separatdruck zur Schweizerischen Ärztezeitung, Heft 46/1991

Konfessionslos

  

Ich habe ein paar Jahre lang versucht, mich zu den ‚fundamentalistischen Christen’ zu zählen. Auch den Begriff 'fundamental' positiv zu belegen, im Sinne von 'gutes Glaubensfundament' beispielsweise... aber die Lieblosigkeit mit der oftmals Jesus verkündet wird, das ist ein so wesentlicher Aspekt des 'fundamentalen Christentums', dass ich mich davon abgrenzen muss. Daher sehe ich mich lieber als 'konfessionslos' (ich bin auch nicht mehr Mitglied irgendeiner Religionsgemeinschaft oder Kirche)* und spreche - nicht 'predige' - über Jesus als auch über Buddha und alles was ich sonst noch kennen gelernt habe auf meinem bisherigen Lebensweg - einfach in meinen eigenen Worten und Bildern, die meine Erfahrung am besten wiedergeben. Nicht absolutistisch, nicht fundamentalistisch, nicht dogmatisch, viel eher als 'Gleichnis- und Symbolsprache'. Und wie lesen wir doch auch in der Bibel:


Und in vielen Gleichnissen trug er ihnen seine Lehre vor, wie sie es zu hören vermochten. (Mk 4,33)


* Mit Datum vom 24. März 2024 bin ich - 50 Jahre nach meinem Kirchenaustritt - wieder heimgekehrt und erneut in die Reformierte Landeskirche eingetreten. 


Der Reifeprozess

  

Ich denke, dass das menschliche Dasein ein Reifeprozess ist. Veränderung, Vergehen, Neuerstehen, Wachstum... mit einem prüfenden, wachen Vertrauen den eigenen Lebensweg bilden dadurch, dass man ihn geht... das Wohl der Erde, das Wohl des Mitmenschen, das eigene Wohl im Auge behaltend... Irrtümer mutig eingestehen und mutig sich neu ausrichten und weiter wandern... in gewisser Hinsicht bleiben wir darin Kleinkindern gleich, die Gehen lernen...

 

Persönliche Erfahrung

  

Was soll uns ein Glaubensbekenntnis ohne konkrete persönliche Erfahrung? Auch die Jünger bezeugten nur ihr persönliches Erleben, und nicht irgendwelche fremde Ideen:


Wir reden, was wir wissen, und wir bezeugen, was wir gesehen haben...    (Joh 3,11)

 

Lied: Sonnengruss
a) Feuersglut
b) Fernstenliebe


Loslassen

   

  Lied: ABSCHIED  

 

O wie schön ist dieses Leben 

Wenn man einmal ganz ergeben 

Sich ihm hingibt und gelassen 

Gott einfach kann Gott sein lassen

 

Ich seh’ den Abschied kommen  

Von vielen jener Frommen 

Die mir seit ein’gen Jahren

Kirch’ und Stütze waren

 

Ich fühl’ ‘ne leise Trauer

Und auch ‘nen süssen Schmerz

Sich bauen wie ‘ne Mauer

Um mein ent-täuschtes Herz

 

Die brauch’ ich im Moment

Wie jeder, der dies kennt

Um die Lieb’ zu finden

Und mit ihr zu überwinden

 

Was auch immer mich bedrängt

Und mein Herz einzwängt

Die Liebe wird gewinnen

Und mich neu erinnern

 

An das Leben und den Weg

Den lebend’ges Leben geht

Frei von -ismus und -logie

Nehm’ ich in meiner Lieb’ Logis

 

Mögen Worte und Buchstaben

Ruhig hinterher mir traben

Ich ruh’ im Geist und in der Kraft

Die stündlich neues Leben schafft

 

So sag’ ich allen nun Ade

Vielleicht dass ich mal wiederseh’

Den Einen oder Andern

Dem das Leben ist wie mir: ein Wandern


O wie schön ist dieses Leben 

Wenn man einmal ganz ergeben 

Sich ihm hingibt und gelassen 

Gott einfach kann Gott sein lassen

 

Das Kreuz hat für mich als Symbol für Tod und Auferstehung, für Gnade und Vergebung Bedeutung, als 'Gesetz' für Erlösung ist es eine Perversion.

 

Das Unwandelbare

 

Was ist "unwandelbar" (also "Gott")?  Das ist doch die Frage überhaupt. Wir können mit dieser Frage im Herzen und im Geist leben und somit offen sein für das Unwandelbare, für Gott (wenn es erlaubt ist, es hier mal gleichzusetzen). Wer sucht wird finden. Ein Leben unter dieser Frage bleibt dadurch in der Gegenwart dieses 'Gottes', sucht ihn unaufhörlich, hier und jetzt.

Die fixe, dogmatische Antwort auf diese Frage jedoch, führt uns von Ihm weg, von seiner Lebendigkeit und Gegenwärtigkeit. Sie führt uns hinweg von ihm, dem Ungewordenen, Ungeschaffenen, Ewigen, hin zu etwas Starrem, etwas Totem, etwas Gewordenem, Geschaffenem, Zeitlichen, eben zum Sterblichen, zu etwas Wandelbarem: Zu einem Bild und Gleichnis Gottes. 

 

In der Frage liegt die Antwort.

In der Antwort liegt die Frage.

 

Henri J.M. Nouwen[1] fragte im selben Sinn einmal seinen Mentor (Abt John Eudes[2]):

Wenn ich bete, zu wem bete ich dann eigentlich? Wenn ich 'Herr' sage, was meine ich damit?" Und dieser antwortete: "Das ist die Frage, das ist die wichtigste Frage, die man stellen kann... Das führt Sie in die Mitte der Meditation. Findet man da eine Antwort? Ja und nein. Sie werden das in der Meditation selbst finden. Es mag sein, dass Ihnen eines Tages eine Erkenntnis aufblitzt, aber dennoch wird diese Frage bestehen bleiben und sie immer näher zu Gott führen.

Das Leben mit dieser Frage im Herzen ist es, das uns zu Gott, zum Ewigen führt. Im Gegensatz dazu steht das Verhalten, das es nicht aushalten zu können vermeint mit einer Frage zu leben. Es findet irgendeine 'Erkenntnis' und macht ein Dogma, einen fixen Glaubenssatz daraus. Das illustriert sehr schön die mir liebe Geschichte (ich habe sie wohl schon mehrmals erzählt) vom Teufel und seinem Freund, die einen Mann auf der Strasse etwas aufheben sehen. Der Freund fragt den Teufel, was jener dort aufgehoben habe, worauf der Teufel antwortet: "Er hat ein Stückchen Wahrheit gefunden". Der Freund fragt den Teufel, ob dies ihm (dem Teufel) nicht Angst mache, worauf der Teufel meint: "Gar kein Problem für mich, ich werde einfach veranlassen, dass jener ein Glaubensbekenntnis aus dem Gefundenen macht".



[1] Henri Jozef Machiel Nouwen (* 24. Januar 1932 in Nijkerk; † 21. September 1996 in Hilversum) war ein niederländischer römisch-katholischer Priester, Theologe, Psychologe und geistlicher Schriftsteller. Nouwen ist ein international angesehener Schriftsteller geistlicher Literatur. In seinen mehr als 40 Büchern versteht er es, fachwissenschaftliche Kenntnisse mit christlicher Spiritualität zu verbinden. Seine Bücher leben nicht zuletzt von der Widerspiegelung eigener spiritueller Erfahrungen und den daraus gezogenen existentiellen Entscheidungen. Viele seiner Werke wurden in mehrere Sprachen übersetzt. (Wikipedia)

[2] Dom John Eudes Bamberger hat als vierter Abt des Klosters dreissig Jahre lang der Gemeinschaft in diesem Amt gedient. Im August 2001, im Alter von 75 Jahren, ist er entsprechend den Konstitutionen des Ordens zurückgetreten. Nach der Wahl des neuen Abtes begann Dom John Eudes das Leben eines Einsiedlers am Rande eines Waldes auf dem Gelände des Klosters, ungefähr 2 km von den Klostergebäuden entfernt. Dennoch setzt er die gemeinsame Arbeit mit der Kommunität in der Bäckerei und in der Bibliothek fort. Außerdem hält er in regelmäßigen Abständen auch Konferenzen, Homilien und Unterricht. Homilien und manche Konferenzen veröffentlich er im Netzt. Das monastische Leben hat im Abendland ebenso wie im Osten viel zum geistlichen Leben des Christenmenschen beigetragen. Auch heute setzen die Mönche ihre Suche nach der Vereinigung mit Gott fort und wollen mit allen Menschen die Gottesliebe teilen. Person und Leben Jesu Christi sind noch immer eine Quelle des Lebens für alle Menschen. Die monastische Spiritualität hat eine besondere Art und Weise, Ihn und seine Unterweisung vor Augen zu stellen, die neue Türen zum Leben öffnen kann. (Website)

 

Das Gesprochene und das Verwirklichte

  

Die Frage nach dem "Unwandelbaren", nach "Gott", ist die Frage nach der "höchsten Wahrheit", die auch "konventionell" diskutiert werden kann. Wenn aber diese 'konventionelle' Diskussion nicht die Verwirklichung zum Objekt und Ziel hat, dann bleibt sie leeres Gerede. Die Zeit kann man sich sparen.

Wo aber Verwirklichung ist, da kann auch in fröhlich-spielerischer Art und Weise, also frei von Verbissenheit und Fanatismus, über "Gott und die Welt" geredet werden. Es ist ja dann nicht der Anspruch darauf da, dass das Gesprochene mit der Verwirklichung identisch sei.

Allerdings sollte das Gesprochene der Verwirklichung auch nicht widersprechen, aber wer will das beurteilen können? Wie oft wurden 'weise Narren' missverstanden? Wie oft lesen wir in der Bibel von den Jüngern Jesu: "...und sie verstanden ihn nicht."


Denn welcher Mensch weiß, was im Menschen ist, als nur der Geist des Menschen, der in ihm ist? So weiß auch niemand, was in Gott ist, als nur der Geist Gottes. (1.Kor 2,11)

 

Die Frucht des Geistes

 

Der Buddhist vertraut einem Menschen (dem Buddha), der von sich selbst sagt, dass er 'verwirklicht' sei, und folgt dessen mündlich überlieferter und schriftlich festgehaltener Lehre, von der diese sagt, dass sie zur 'Verwirklichung' führe. Er tut dies ohne eine Möglichkeit erkennen zu können ob dies stimmt bevor er nicht selber diese 'Verwirklichung' erreicht hat. Er tut dies als 'Gläubiger', oder in buddhistischer Terminologie, als Saddhavimutta, als 'Vertrauenserlöster'. Schritt für Schritt wächst er so in der 'Verwirklichung' der Lehre.

Der Christ glaubt in ebensolcher Weise dem Christus und dessen mündlich überlieferter und schriftlich festgehaltener Lehre - ebenfalls ohne Möglichkeit der Erkenntnis des Wahrheitsgehalts dieses Weges vor der Zielerreichung (der 'Verwirklichung'). Er tut dies 'im Glauben', als im Glauben Erlöster.  

 

 Lied:
VOM GEIST GEFÜHRT
Dhammapada Vers 1

Trotzdem gibt es Zeichen des Fortschreitens, Wegzeichen, die den Vertrauenden ermutigen den Weg weiter zu gehen - die Bibel nennt sie 'Frucht des Geistes' oder auch 'Frucht des Lichts':

Die Frucht des Geistes aber ist Liebe, Freude, Friede, Geduld, Freundlichkeit, Gütigkeit, Treue, Sanftmut, Enthaltsamkeit. (Gal 5,22)

Die Frucht des Lichtes besteht nämlich in aller Gütigkeit und Gerechtigkeit und Wahrheit. (Eph 5,9)

Wo solche 'Früchte' wahrnehmbar sind - in uns selber oder im Mitmenschen - da kann die 'Verwirklichung', da kann 'Gott' nicht weit sein. Das ist keine Frage der Religionszugehörigkeit.  Jeder Mensch ist potenziell ein Kind Gottes, ein Anwärter auf die Buddhaschaft.

Eine meiner Lieblingsbibelstellen ist diese:

Die gesamte Schöpfung wartet sehnlich auf Menschen, in denen sich offenbart, dass sie Söhne und Töchter Gottes sind... Sie soll die Freiheit gewinnen, die herrliche, die den Kindern Gottes bestimmt ist. (Röm 8,19-21)

Hier wird deutlich, dass die ganze Schöpfung, alle Kreatur diese Freiheit erlangen soll. Und dass den 'Kindern Gottes' (den Bodhisattvas[1]) darin eine wichtige Aufgabe zufällt. Die Schöpfung 'weiss', weshalb sie auf das Offenbarwerden der Kinder Gottes, auf verwirklichte 'Arahants'[2] wartet...

 


[1] Bodhisattva, Sanskrit von Bodhi [„Erleuchtung“ oder „Erwachen“] und Sattva [„Wesen“]) bedeutet „Erleuchtungswesen“ (Pali: bodhisatta). Im Mahayana-Buddhismus werden Bodhisattvas als nach höchster Erkenntnis strebende Wesen angesehen, die auf dem Wege der „Tugendvollkommenheit“ (sanskrit: paramita) die „Buddhaschaft“ anstreben bzw. in sich selbst realisieren, um sie zum Heil aller lebenden Wesen einzusetzen. Diese Ausgangsmotivation wird „Erleuchtungsgeist“ (bodhicitta) genannt. Praktizierende verschiedener Traditionen des Mahayana rezitieren Bodhisattva-Gelübde und bekunden damit ihren Willen auch selbst diesen Weg zu gehen. Kern der Bodhisattva-Philosophie ist der Gedanke, nicht selbst und allein für sich Erleuchtung zu erlangen und damit das Nirwana zu realisieren, sondern statt dessen zuvor allen anderen Wesenheiten zu helfen, sich ebenfalls aus dem endlosen Kreislauf der Reinkarnationen (Samsara) zu befreien. (Wikipedia)

[2] Der Begriff Arahant bezeichnet im Theravada-Buddhismus den Heiligen, der vollständig Gier, Hass und Verblendung abgelegt hat. Er wird durch das Erreichen des Nirwana nicht mehr wiedergeboren. Bereits zu Lebzeiten des Buddha sollen viele seiner Schüler durch seine Vipassana-Meditation zu Arahants geworden sein. In den frühen indischen Texten wird die Erlangung der Arahantschaft als das letzte und höchste Ziel der buddhistischen Praxis angesehen. Der wesentliche Unterschied zwischen einem Arahant und seiner Entsprechung im Mahayana, dem Bodhisattva ist es, dass ein Arahant den letzten Schritt in das Nirwana nicht freiwillig aufschiebt, um den anderen Wesen auf dem Weg aus dem Leiden zu helfen. Der Grund dafür ist aber nicht etwa Egoismus, sondern die Überzeugung des Theravada, dass dies nicht möglich ist. Jedes Wesen ist entsprechend dem Gesetz des Karma für seine Handlungen selbst verantwortlich, eine Übertragung von Verdiensten auf andere Wesen ist nicht möglich. Ein Arahant versucht daher durch das Lehren des Dharma (Pali: Dhamma) die anderen Wesen auf ihrem Weg zur Erleuchtung zu unterstützen. Jeder Versuch, eine Erlösung außerhalb von sich selbst bei anderen Wesen zu suchen, führt aus der Sicht des Theravada zu einer weiteren Verstrickung in die samsarische Welt.

 

In meinem eig'nen Brand...


Bei einigen (gerade jungen) Mitmenschen habe ich den Eindruck, es wäre gar nicht so schlecht, wenn sie statt unter dem Gruppendruck der 'wahrhaft Gläubigen' tugendhaft zu sein sich noch eine wenig 'austoben' dürften... sonst kommen sie möglicherweise eines fernen Tages auch als Alte daher, die den Jungen durch religiöse Angstmacherei alles verbieten und ihnen die Freude am überschwänglichen Leben versauern... alles hat nun mal seine Zeit (kairos), auch das tugendhafte Leben und auch das sündige Leben. Es ist heilsam und trägt zur Reife des Menschen bei, wenn er den Weg zum tugendhaften Leben selber erlebt und erleidet durch Wonne und Schmerz: 

 

                        Lied: ABGRUNDS WEGE 

 

In meinem eignen Herzen

In meinem eignen Land

Ich kann es kaum verschmerzen

Da liegt noch so viel Tand

 

Doch will auch hier ich suchen

Will nicht dem Leben fluchen

In meinem eignen Brand

Wird das gelobte Land

         

              Lied: DANK IN LEIDEN 

        

Vergeben

 

Vergeben kann keineswegs nur ein Mensch der vollkommen 'gut' ist. Sonst wären unsere ganzen gegenseitigen 'Vergebungs- und Versöhnungs-bemühungen' vergeblich. Auch die Bibel spricht hier deutlich:


Denn wenn ihr den Menschen ihre Fehler vergebet, so wird euer himmlischer Vater euch auch vergeben. Wenn ihr aber den Menschen ihre Fehler nicht vergebet, so wird euch euer Vater eure Fehler auch nicht vergeben.

(Mt 6,14-15)


Das geht ja sogar noch viel krasser und weiter: Wir finden Vergebung beim himmlischen Vater nur in dem Ausmass, wie  wir den an uns schuldig gewordenen Mitmenschen Vergebung erweisen! Selbstverständlich unterscheidet sich ein hunderprozentiger Mensch wie Jesus von uns Anfängern im Glauben und Menschsein. Jedoch nicht in der Notwendigkeit und Anforderung Vergebung walten zu lassen. Das erwartet der Vater von uns wie von Jesus.

Jesus ist mir und vielen Tausenden und Millionen von Menschen ein leuchtendes Vorbild, das Kraft und Mut gibt, für Wahrheit, Gerechtigkeit, für Liebe und Leben einzustehen und dafür Verspottung, Verachtung, vielleicht sogar Gewalttat und Tod in Kauf zu nehmen. Ein leuchtendes Vorbild gerade auch in der Vergebungsbereitschaft. Weder der Auftritt von Jesus, noch seine Lehre, noch sein Kreuzestod waren überflüssig. Es war sein Leben und sein Weg. Er ist ihn gegangen und er wurde zum Vermächtnis für die Menschheit.

Die Sühneopfertheologie ist allerdings ein anderes Thema. Wer in ihr für sich Frieden findet von Schuld und Sünde, mag sie so wörtlich annehmen. Wenn sie aber angewendet wird, um einen Wahrheitsabsolutheitsanspruch geltend zu machen verbunden mit der Drohung von ewiger Hölle und Verdammnis wenn nicht das Kreuz ganz genauso verstanden und interpretiert wird wie die Kirche - der Klerus (den gibts auch bei den so genannten 'freien' Kirchen...) - es predigt, dann ist etwas faul am Kreuz. Nicht am Kreuzesgeschehen selber, das war was es war und ist als mächtiges Symbol von Liebe und Vergebung und Auferstehung des Lebens in Liebe und Vergebung ein 'Lebensspender' ersten Ranges. Faul ist aber, dieses Vergebungs- und Auferstehungsgeschehen des Lebens zum Gesetz und Gericht zu erheben. Das Kreuz Christi ist definitiv Gnade und nicht Verurteilung. Niemals hätte Jesus vom Kreuz herunter in die Menge geschrien: "Wenn ihr nicht glaubt, dass ich Gott bin, dann fahrt ihr zu Hölle!" Nein, er bat: "Vater, vergib' ihnen..."

  

Eins mit Gott

  

Jesus hat sich selber nicht für Gott gehalten. Er erkannte in Gott seinen Vater und wusste sich eins - einig - mit ihm. Er wusste, dass die Göttlichkeit, die er in sich erkannte, der einzige Weg zum Vater war, und so konnte er auch frei heraus bekennen, er sei der Weg zum Vater, und niemand komme zum Vater ausser durch ihn. Alles korrekt. Auch wir kommen nicht zum Vater, es sei denn, wir erkennen die Göttlichkeit in uns selber und in unseren Mitmenschen. Nicht nur im Menschen Jesus.

 

Ein eindrückliches und tiefgehendes Erlebnis des Einsseins mit Gott ist mir in der Zeit meiner Krise (2001) widerfahren. Innerlich zerrissen und von Depression gequält stand ich eines Nachts am Rande des Waldes auf einem Hügel und mein Herz war ein einziger stummer Schrei. Da ging mir die Bibelstelle durch den Sinn, in der Gott Moses seinen Namen kundtut:

 

Gott sprach zu Mose: «Ich bin, der ich bin!» Und er sprach: Also sollst du zu den Kindern Israel sagen: «Ich bin», der hat mich zu euch gesandt. (2.Mose 3,14)

 

Und so begann ich dort am Waldrand diesen Namen Gottes zu sprechen und schliesslich zum Himmel zu rufen. Immer und immer wieder: „Ich bin der ich bin!“ Und auf einmal traf es mich wie ein Schlag: „Ich bin der ich bin!“ Mit diesem Namen habe ich die göttliche Macht ausserhalb von mir angerufen und nun kommt die Antwort auf diesen Ruf aus meinem eigenen Inneren: „Ich bin der ich bin“. Ich bin genau der, der ich bin. In diesem Moment viel alle Ablehnung meiner selbst von mir ab. Ich darf der sein, der ich bin, und ich darf meinen Weg des Lebens gehen, als der, der ich bin. Um dieses tiefe Erleben des Einsseins mit Gott hat Jesus kurz vor seiner Hinrichtung für seine Jünger gebeten:

 

Ich habe ihnen dein Wort gegeben, und die Welt haßt sie; denn sie sind nicht von der Welt, gleichwie auch ich nicht von der Welt bin. Ich bitte nicht, daß du sie aus der Welt nehmest, sondern daß du sie bewahrest vor dem Argen. Sie sind nicht von der Welt, gleichwie auch ich nicht von der Welt bin. Heilige sie in deiner Wahrheit! Dein Wort ist Wahrheit. Gleichwie du mich in die Welt gesandt hast, so sende auch ich sie in die Welt. Und ich heilige mich selbst für sie, damit auch sie geheiligt seien in Wahrheit. Ich bitte aber nicht für diese allein, sondern auch für die, welche durch ihr Wort an mich glauben werden, auf daß sie alle eins seien, gleichwie du, Vater, in mir und ich in dir; auf daß auch sie in uns eins seien, damit die Welt glaube, daß du mich gesandt hast. Und ich habe die Herrlichkeit, die du mir gegeben hast, ihnen gegeben, auf daß sie eins seien, gleichwie wir eins sind. Ich in ihnen und du in mir, auf daß sie zu vollendeter Einheit gelangen, damit die Welt erkenne, daß du mich gesandt hast und sie liebst, gleichwie du mich liebst. (Joh 17,14-23)

 

Sechs Jahre später habe ich diese Einheit mit Gott im Lied ‚Du, der Ich bin’ besungen:


            Lied: DU, DER ICH BIN

 

Ja, Du befreist, Du, der ‘Ich bin’
In mir in Dir da liegt der Sinn
Verborgen tief im eig’nen Herzen
Bereit zum Lachen und zum Scherzen

Die Oberfläche ist so hart
Humorlos ernst und hungrig satt
Sie ist das Ich, das Nicht-Ich-bin
Und raubt dem Leben jeden Sinn

Doch Du, der namenlose Eine
Der ‘Ich bin’ im eig’nen Scheine
Machst als der Lieb’ äonisch Wesen
Mich von falschem Ernst genesen

Du, der ‘Ich bin’, Du gibst mir Kraft
Und schenkst mir Freude wesenhaft
’Ich bin’ der Weg, die Wahrheit auch
’Ich bin’ als Leben Gottes Hauch

Ich bin in Dir und Du in mir
Wir sind uns gegenseitig Zier
Ich bin die Liebe, bin der Geist
Ich bin das Ich, das Du befreist

 

Die Kirche hat bezüglich der Menschlichkeit und Göttlichkeit Jesu eine geniale Terminologie gefunden, sie bezeichnet die beiden in Jesus als ‚ungetrennt und unvermischt eins’. Das gilt genauso für einen jeden Menschen, für ein jedes Lebewesen. Wir können auch anstelle von Menschlichkeit und von Göttlichkeit zu sprechen sagen: Das Zeitliche und das Ewige sind im Menschen ungetrennt und unvermischt eins. Dieses ungetrennte und unvermischte Einssein direkt zu erleben, das ist das Ziel christlicher Meditationsformen. Es ist das Erleben der allumfassenden Gnade, die in der Kontemplation des Herzensgebets angestrebt wird.

 

Religion

  

Es macht mir eher Angst, mir vorzustellen, die ganze Welt wäre 'christlich', so wie sich das 'Christliche' des öftern darstellt... Wenn wir darunter aber verstehen möchten, die ganze Welt wäre zur 'Frucht des Geistes' gereift, dann wäre es allerdings eine wahre Freude!


Die Frucht des Geistes aber ist Liebe, Freude, Friede, Geduld, Freundlichkeit, Gütigkeit, Treue, Sanftmut, Enthaltsamkeit. (Gal 5,22)


Ich glaube nicht, dass die Frucht des Geistes religionsabhängig ist. Es wäre auch eine kulturelle und religiöse Verarmung, wäre die ganze Welt 'christlich'. Die Vielfalt an Kultur und Religion ist eine farbenreiche Facette der Menschheit, der Schöpfung, Gottes. Wo echte 'religio' gelebt wird, da ist 'Frucht des Geistes' zu finden. Wo Frucht des Geistes zu finden ist, da ist allen voran die Liebe zu finden, und:


Die Liebe ist aus Gott, und wer liebt, der ist aus Gott geboren und kennt Gott. (1.Joh 4,7)

 

Die einzig wirklich erfüllende Art zu leben


Der Bedeutungsgehalt von Visionen und Offenbarungen ist eine überaus heikle Angelegenheit. Es ist zudem bloss eine der möglichen Weisen, die Bibel von Anfang bis Ende als zeitlich linearen Ablauf zu lesen. Es ist durchaus auch möglich, sie als Gegenwartsgeschehen zu verstehen. Hier und jetzt habe ich die Wahl, vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse zu essen oder vom Baum des Lebens, beispielsweise. Hier und jetzt kann sich das neue Jerusalem in mein Herz senken und Gott selber mir Tempel und Licht sein, so dass ich keines steinernen Tempels und künstlichen Lichtes mehr bedarf. Hier und jetzt foltere und töte ich den Sohn Gottes in mir oder in meinem Nächsten. Hier und jetzt erlebe ich die Auferstehungskraft aus Sünde und Tod und die Auferstehung des Gottessohnes in meinem Dasein.

 

Lied: LOBGESANG
a) Der gesalbte Sohn
 

Ich bin kein Exoteriker. Mein Gottesverständnis und mein Weg zu Gott ist ein innerlicher, wie ihn die Mystiker verstanden haben, z.B. Meister Eckehart.


Lied: LOBGESANG
b) Er-lebt
 

Ich wende die Aussagen der Bibel und anderer geistlicher Werke auf mein gegenwärtiges Leben an. Was mir zu mehr Gottesnähe, zu mehr Gotteserkenntnis, zu mehr Liebesfähigkeit - wie schon gesagt: zu mehr Geistesfrucht - verhilft, das ist wertvoll und gut. Wenn ich heute, hier und jetzt, mit Gott lebe, dann ist alles gut. Es mag kommen, was kommen will oder muss. Ich bin geborgen in Gott, das ist genug.

In dieser Sichtweise erlebe ich persönlich die Gegenwart Gottes in meinem Leben inniger und seine Wegweisungen sind mir so klarer und sprechen eindeutiger zu mir als im exoterischen und zeitlich-linearen Verständnis. Das bedeutet aber nicht, dass ich der anderen Sichtweise ihre Berechtigung absprechen würde. Gott spricht zu jedem Menschen so, wie dieser ihn verstehen kann.

Da ich von der Richtigkeit der Sichtweise und der Art wie ich die Bibel verstehe und mein spirituelles Leben praktiziere für mich überzeugt bin, habe ich mich entschieden, nun hierin auch transparenter, eben 'im Licht' zu sein: 

 

Wer aber die Wahrheit tut, der kommt zum Licht, damit seine Werke offenbar werden, daß sie in Gott getan sind. (Joh 3,21)

 

Es ist definitiv nicht mein Problem, und ich habe auch nicht vor, es zu meinem zu machen, was religiöse Institutionen und Kirchen mit ihrem religiösen Verständnis tun oder lassen. Auch Verschwörungstheorien interessieren mich nicht. Meine Aufgabe ist es mein Leben 'im Geist und in der Wahrheit' zu leben. Und das tu' ich so, wie ich Gott verstehe, oder immerhin zu verstehen glaube.

Auf Gott und seine Liebe stösst man nur, wenn man sich nicht durch Gesülze vernebeln lässt - auch nicht durch das Gesülze der verschiedensten Verschwörungstheoretiker. Der Weg mit Gott ist ein schmaler Pfad, es heisst 'auf Messers Schneide zu gehen' und die mehrspurigen lärmenden Autobahnen achtsam zu kreuzen - was nicht ohne Risiko geht aber die einzig wirklich erfüllende Art zu leben bedeutet.