24_08

Eins mit Gott

  

Jesus hat sich selber nicht für Gott gehalten. Er erkannte in Gott seinen Vater und wusste sich eins - einig - mit ihm. Er wusste, dass die Göttlichkeit, die er in sich erkannte, der einzige Weg zum Vater war, und so konnte er auch frei heraus bekennen, er sei der Weg zum Vater, und niemand komme zum Vater ausser durch ihn. Alles korrekt. Auch wir kommen nicht zum Vater, es sei denn, wir erkennen die Göttlichkeit in uns selber und in unseren Mitmenschen. Nicht nur im Menschen Jesus.

 

Ein eindrückliches und tiefgehendes Erlebnis des Einsseins mit Gott ist mir in der Zeit meiner Krise (2001) widerfahren. Innerlich zerrissen und von Depression gequält stand ich eines Nachts am Rande des Waldes auf einem Hügel und mein Herz war ein einziger stummer Schrei. Da ging mir die Bibelstelle durch den Sinn, in der Gott Moses seinen Namen kundtut:

 

Gott sprach zu Mose: «Ich bin, der ich bin!» Und er sprach: Also sollst du zu den Kindern Israel sagen: «Ich bin», der hat mich zu euch gesandt. (2.Mose 3,14)

 

Und so begann ich dort am Waldrand diesen Namen Gottes zu sprechen und schliesslich zum Himmel zu rufen. Immer und immer wieder: „Ich bin der ich bin!“ Und auf einmal traf es mich wie ein Schlag: „Ich bin der ich bin!“ Mit diesem Namen habe ich die göttliche Macht ausserhalb von mir angerufen und nun kommt die Antwort auf diesen Ruf aus meinem eigenen Inneren: „Ich bin der ich bin“. Ich bin genau der, der ich bin. In diesem Moment viel alle Ablehnung meiner selbst von mir ab. Ich darf der sein, der ich bin, und ich darf meinen Weg des Lebens gehen, als der, der ich bin. Um dieses tiefe Erleben des Einsseins mit Gott hat Jesus kurz vor seiner Hinrichtung für seine Jünger gebeten:

 

Ich habe ihnen dein Wort gegeben, und die Welt haßt sie; denn sie sind nicht von der Welt, gleichwie auch ich nicht von der Welt bin. Ich bitte nicht, daß du sie aus der Welt nehmest, sondern daß du sie bewahrest vor dem Argen. Sie sind nicht von der Welt, gleichwie auch ich nicht von der Welt bin. Heilige sie in deiner Wahrheit! Dein Wort ist Wahrheit. Gleichwie du mich in die Welt gesandt hast, so sende auch ich sie in die Welt. Und ich heilige mich selbst für sie, damit auch sie geheiligt seien in Wahrheit. Ich bitte aber nicht für diese allein, sondern auch für die, welche durch ihr Wort an mich glauben werden, auf daß sie alle eins seien, gleichwie du, Vater, in mir und ich in dir; auf daß auch sie in uns eins seien, damit die Welt glaube, daß du mich gesandt hast. Und ich habe die Herrlichkeit, die du mir gegeben hast, ihnen gegeben, auf daß sie eins seien, gleichwie wir eins sind. Ich in ihnen und du in mir, auf daß sie zu vollendeter Einheit gelangen, damit die Welt erkenne, daß du mich gesandt hast und sie liebst, gleichwie du mich liebst. (Joh 17,14-23)

 

Sechs Jahre später habe ich diese Einheit mit Gott im Lied ‚Du, der Ich bin’ besungen:


            Lied: DU, DER ICH BIN

 

Ja, Du befreist, Du, der ‘Ich bin’
In mir in Dir da liegt der Sinn
Verborgen tief im eig’nen Herzen
Bereit zum Lachen und zum Scherzen

Die Oberfläche ist so hart
Humorlos ernst und hungrig satt
Sie ist das Ich, das Nicht-Ich-bin
Und raubt dem Leben jeden Sinn

Doch Du, der namenlose Eine
Der ‘Ich bin’ im eig’nen Scheine
Machst als der Lieb’ äonisch Wesen
Mich von falschem Ernst genesen

Du, der ‘Ich bin’, Du gibst mir Kraft
Und schenkst mir Freude wesenhaft
’Ich bin’ der Weg, die Wahrheit auch
’Ich bin’ als Leben Gottes Hauch

Ich bin in Dir und Du in mir
Wir sind uns gegenseitig Zier
Ich bin die Liebe, bin der Geist
Ich bin das Ich, das Du befreist

 

Die Kirche hat bezüglich der Menschlichkeit und Göttlichkeit Jesu eine geniale Terminologie gefunden, sie bezeichnet die beiden in Jesus als ‚ungetrennt und unvermischt eins’. Das gilt genauso für einen jeden Menschen, für ein jedes Lebewesen. Wir können auch anstelle von Menschlichkeit und von Göttlichkeit zu sprechen sagen: Das Zeitliche und das Ewige sind im Menschen ungetrennt und unvermischt eins. Dieses ungetrennte und unvermischte Einssein direkt zu erleben, das ist das Ziel christlicher Meditationsformen. Es ist das Erleben der allumfassenden Gnade, die in der Kontemplation des Herzensgebets angestrebt wird.