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Mut

 

Fehlt nicht sehr vielen Christen der Mut dazu, eine eigene Glaubensposition schon nur einzunehmen und dann gar noch nach Aussen zu bekennen? Ist nicht ein unausgesprochener Druck, ein stillschweigender Konsens innerhalb der Kirchen und Gemeinden oft zu mächtig, um dem einzelnen Individuum überhaupt nur den Raum zum mutigen persönlichen Bekenntnis zuzugestehen?

 

Hier füge ich einen Abschnitt aus einem Brief an meine Freunde von Mai 2004 ein:

 

In seinem Bericht über die Gruppenarbeit am 5. Wiler Symposium ‚Psychiatrie im Wandel – Psychiatrie und Religion’ schreibt der Psychiater W. Pöldinger:[1]

 

Vielfach haben sterbende Menschen das Bedürfnis, über das Sterben und das Leben nach dem Tod zu sprechen. Diese Aufgabe – dies kam in der Diskussion zum Ausdruck – ist für den Seelsorger häufig schwieriger als für den Arzt. Denn viele dieser Sterbenden wollen nicht die offizielle Lehrmeinung einer Religionsgemeinschaft kennenlernen, sondern interessieren sich vor allem für die persönliche Ansicht ihres Gesprächspartners. Oft fällt es jedoch gerade religiösen Menschen schwer, ihre persönlichen Anschauungen zu diesen Fragen offen darzulegen. Solche Themen werden gerne verdrängt, oder aber man legt sich selbst keine Rechenschaft über den persönlichen Glauben ab.

An diesem Punkt wurde die Diskussion noch lebhafter und emotionaler. Offensichtlich gehört der persönliche Glaube zu den grössten Tabus. Mit ein wenig Verwunderung nahm man allseits zur Kenntnis, dass solche Fragen kaum öffentlich behandelt werden. Über die innerste religiöse Überzeugung äussert man sich kaum, geschweige denn, dass man sie diskutiert…

Aus der Psychotherapie von Personen, welche eine Funktion in Glaubensgemeinschaften ausüben, ist bekannt, dass sie mit ihren engsten Glaubensgenossen über diese persönliche Thematik nicht sprechen können. Dieser Hemmung mag die Angst zugrunde liegen, etwaige Zweifel an religiösen Inhalten auf andere zu übertragen und diese so in Gewissenskonflikte zu stürzen.

Vom Podium aus wurden anwesende Ordensmitglieder aufgefordert, dazu Stellung zu beziehen: In ihren Gemeinschaften sei es eher möglich, Probleme der Sexualität zu diskutieren als solche des persönlichen Glaubens. Die ureigensten Glaubensinhalte stünden nie zur Debatte. Damit fand die These einer Tabuisierung ihre Bestätigung.



[1] Zitiert aus dem Artikel ‚Psychiatrie und Religion heute’ von Dr. Hans F. Fankhauser, Spezialarzt FMH für Psychiatrie und Psychotherapie, Bern, in einem Separatdruck zur Schweizerischen Ärztezeitung, Heft 46/1991